Essay

Ein Zeitfenster öffnet sich

Der Krieg gegen die Ukraine, der nun begonnen hat, findet auf dem Kriegsgebiet unserer Vorväter statt

Collage: Mein Großvater Rudolf im Krieg, undatiert, und die New York Times vom 20. Februar 2022

Dadurch öffnet sich in der Ahnenreihe das Erleben an der Ostfront wieder

Es ist der Sonntag, bevor der Krieg beginnt.

Am Vormittag gehe ich an der Spree entlang, ein Sturm in den Tagen davor hatte Bäume umgerissen, viele Äste liegen auf dem nassen Boden. Seit vier Wochen bin ich aus den USA nach Berlin zurückgekehrt, und der Orkan erinnert mich an die Weisheit der Native Americans; der Wind ist die Kraft der Großväter, mit dem sie sich bemerkbar machen.

 

Es herrscht Unruhe in Europa, und mein lieber Freund und Therapeutenkollege Patrick aus den USA schrieb mir dazu, dass er die Unruhe versteht, denn es läuft gerade „der größte Truppenaufmarsch seit dem 2. Weltkrieg“.

„Die Front ist sehr nah“, schreibt die „Berliner Zeitung“.

In der Tagesschau höre ich wie Bundeskanzler Olaf Scholz von einem „drohendem Krieg in Europa“ spricht.

 

Vier Tage später wird der Krieg beginnen.

 

Meine Familienseele lauscht bei all dem mit.

 

Die Länder, die in diesem Krieg gegeneinander kämpfen, waren einst ein Schlachtfeld meiner Großväter.

 

Ich habe drei Großväter, einer ist mein sozialer Großvater:

Rudolf war 1941 als Wehrmachtssoldat am „Unternehmen Barbarossa“ beteiligt, dem Überfall auf die Sowjetunion. Im berüchtigten Kessel von Demjansk erlitt er Erfrierungen 2. und 3. Grades an den Füßen.
Bruno wurde 1945 von einem russischen Partisanen erschlagen, nachdem er von der Wehrmacht desertiert war.
Fritz kämpfte für die Wehrmacht in der Ukraine und auf der heute von Russland besetzten Krim und kam zunächst im ukrainischen Stalino, dann im russischen Murmansk in Kriegsgefangenschaft.


Mehr als 9 Millionen deutsche Männer waren an der Ostfront.
 
Der Wind ist die Kraft der Großväter: Wenn ich heute von den Truppen in Weißrussland, Russland und der Ukraine höre, lauschen die Seelen der Vorväter mit.

 

Mir ist, als würden sie flüstern: Hört. Hört.

 

„Ich möchte die deutsche Gesellschaft daran erinnern, dass die Ukraine während des 2. Weltkriegs komplett von der Wehrmacht besetzt war“, sagt der ukrainische Regisseur Taras Tomenko in der „Berliner Zeitung“ vom 15. Februar 2022. „Die Ukraine hatte Millionen von Opfern zu beklagen und wurde total verwüstet.“

 

Soll Deutschland deshalb Waffen an die Ukraine liefern, wie Tomenko es fordert?


Mehr als die Hälfte geschätzten 55 Millionen Toten des 2. Weltkriegs kamen aus der Sowjetunion, viele davon aus dem heutigen Russland.

Ich möchte mich nicht auf eine  der beiden Seiten der gerade aufziehenden Front stellen.

 

Aber ich spüre, wie meine Seele immer wieder mit den Seelen meinen Vorvätern auf dem weiten Land steht, das heute von den Grenzen Russlands und der Ukraine durchzogen wird, gemeinsam mit den Menschen, die nun dort leben.

 

Still stehen die Seelen, und ein Teil von mir steht mit ihnen.

 

Durch meine Arbeit mit den Seelen von Männern weiß ich, wie wichtig es bei der Reise durch die Seelenlandschaft ist, die Reise nicht alleine zu machen. Wir reisen gemeinsam mit den Seelen der Ahnen und mit den Seelen, denen sie begegnet sind; in Liebe oder auf dem Schlachtfeld.

 

Der Krieg, der nun begonnen hat, ist auch unser Krieg.

 

Auf meinem Weg an der Spree entlang gehe ich zur hellblauen Russisch-Orthodoxen Kirche mit den vergoldeten Türmen, um wahrzunehmen, wie es den russischsprachigen Menschen in diesen Zeiten dort geht.

 

Im kleinen Glockenturm davor spielt ein Mann das Glockenspiel.

 

Es ist, als würde er in der Ruhe nach dem Sturm dem Flüstern der Ahnen einen Klang geben.

Hört.

Hört.

 

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