Kollektive Intelligenz

Wie persönliche und kollektive Erfahrungen zu Kraftquellen werden

Die kollektive Seele vergisst nichts. Dass der 2. Weltkrieg seit mehr als 70 Jahren vorbei ist und die DDR seit fast 30 Jahren nicht mehr existiert, ist aus der Sicht der Psyche eine Illusion. „Wir in der physischen Welt können leicht alle möglichen Dinge vergessen, aber die Seele vergisst nichts“, schreibt der holländische System-Aufsteller Daan van Kampenhout in seinem Buch „Die Tränen der Ahnen“. „Die Triumphe der Vorfahren, ihre Misserfolge, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, sie sind alle in irgendeiner Form noch da.“

 

Diese Dynamik gilt auch für die individuelle Seele. Ereignisse, die Menschen selbst erlebt haben, aber nicht fühlen konnten, da die Vehemenz der (gewaltsamen) Eindrücke zu stark war, werden verdrängt oder abgespalten. Das kann auch zu körperlichen Symptomen wie chronischen Kopfschmerzen oder Erschöpfungszuständen führen.

 

„Trauma“ kommt aus dem Griechischen und heißt „Wunde“. Kollektiv ist alles, was eine Gemeinschaft oder Gesellschaft erlebt hat. Die gemeinsame Wunde rührt in der Regel von Kriegen, Diktaturen oder Naturkatastrophen her. Meist können die Menschen, die das gemeinsam erleben, dieses Ereignis nicht vollständig fühlen. Teile davon werden aus dem eigenen Erleben abgespalten oder emotional wie eingefroren. Explodierende Bomben mit Toten und Verletzen, systematische Repressalien, Verfolgung, Überwachung im Alltag – das ist für Menschen in der Regel alleine nicht zu verarbeiten.

 

Der US-amerikanische Psychoanalytiker Vamik D. Volkan geht davon aus, sobald „Mitglieder der Gruppe nicht mehr im Stande sind, das Trauern über ihre Verluste einzuleiten oder zu Ende zu bringen oder ihre Gefühle der Erniedrigung umzukehren, dann werden ihre Bilder von ihnen selbst an spätere Generationen in der Hoffnung weitergegeben, dass andere fähig sein werden zu trauern und zu bewerkstelligen, was frühere Generationen nicht leisten konnten“.​

 

Wir alle arbeiten an der kollektiven Seele mit.

 

Sobald in der kollektiven Psyche ein Trauma vorhanden ist, wirkt das auf Menschen oft wie ein Feld in einem Traum, in dem man geht, aber nicht vom Fleck kommt. Dieses Trauma-Feld kann Folgen für Seele und Körper haben. Viele Deutsche leiden deshalb unter Symptomen wie Depression und Antriebsschwäche.

 

In meiner Praxis biete ich Einzelgespräche und Gruppentermine zu kollektiven und inter-generationellen Traumata an. Prof. Dr. Luise Reddemann, Wegbereiterin für psychotherapeutische Arbeit mit Traumata in Deutschland, spricht mir dabei aus der Seele, wenn Sie in Ihrem Buch „Kriegskinder und Kriegsenkel in der Psychotherapie“ schreibt, dass die Zeit gekommen sei, „der kollektiven Vergangenheit mehr Raum zu geben, als dies bisher der Fall gewesen zu sein scheint. Es geht darum, nicht nur zu wissen, sondern sich auch erschüttern zu lassen, um zu trauern und die Vergangenheit zu akzeptieren wie sie war, um schließlich gegenwärtiger sein zu können.“

 

In meiner Praxis lege ich Wert darauf, sich behutsam den seelischen Wunden zu nähern und dabei immer den Körper mit einzubeziehen. Denn der Körper kennt die Wahrheit – oftmals früher als der Verstand. Physikalische Körper, das wissen Physiker schon lange, speichern Informationen und können sie in festen Stoffen, aber auch in flüssigen, kurz- oder langfristig ablegen. Deshalb haben es Forscher aus aller Welt geschafft, in Materie zahlreiche Informationen einzubrennen – auf CDs können wir deshalb Mozart genießen.

 

Die Seele arbeitet ähnlich mit dem Körper. Ist ein Ereignis zu heftig, um es in diesem Moment zu verarbeiten, werden diese Informationen – Ereignisse, Gefühle, Gedanken – mit der Präzision eines Laserstrahls im Gewebe des Lebens abgelegt.

 

Das ist eine gute Nachricht. So können wir körperliche Symptome oder Wahrnehmungen als hilfreiche Wegweiser in die Seelenlandschaft nehmen. Nach und nach, in einem angemessenen Tempo, können wir diese gespeicherten Erinnerungen behutsam würdigen, damit sie sich in ihrem Rhythmus lösen dürfen.

 

Dabei lege ich Wert darauf, dass wir ebenso die positiven Erfahrungen im Leben, unsere Kraftquellen, wertschätzen und einbeziehen. Mit diesen Ressourcen kann eine Resilienz entstehen, die gute Bedingungen für eine achtsamen Umgang mit dem Unvergesslichen schafft. So entsteht aus dem Zusammenwirken von persönlichen, familiären und kollektiven Erfahrungen eine kollektive Intelligenz, die wir heute für die Gestaltung der Gegenwart nutzen können.

 

Ein Chance, die Erfahrung der Vorfahren als persönliche Kraftquelle zu nutzen, biete ich mit "Baum der Seele –– Die Früchte des Lebens ernten" an. Mehr dazu hier.

 

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